Giessener Anzeiger vom 29.01.2021, Von Frank-O. Docter

Kritiker sorgen sich wegen des künftigen Industrie-Anteils des neuen Gewerbegebiets in Pohlheim-Garbenteich. Die Bürgerinitiative appelliert an das Stadtparlament, die abschließende Entscheidung aufzuschieben.

GARBENTEICH – Als im Jahr 2000 erstmals die Idee entstand, am Ortsrand von Garbenteich ein neues Gewerbegebiet zu schaffen, hätte sich wohl keiner der Beteiligten gedacht, dass es damit noch über 20 Jahre dauern würde. Nun steht die endgültige politische Entscheidung dafür kurz bevor und ist mit der Gießener Revikon GmbH und ihrem weithin bekannten Geschäftsführer Daniel Beitlich ein erfahrener Investor und Projektentwickler gefunden. Die Kritik am Gewerbegebiet „Garbenteich-Ost“ und seiner künftigen Gestaltung reißt jedoch nicht ab, wie sich diese Woche im Bau- sowie Haupt- und Finanzausschuss (HFA) zeigte. In letzterem Gremium wurde knapp zwei Stunden lang der städtebauliche Vertrag diskutiert, den die Stadt Pohlheim mit Revikon abschließt und der unter anderem regelt, was auf dem Areal nicht gebaut werden darf; zum Leidwesen mancher fand das im nicht-öffentlichen Teil hinter verschlossenen Türen statt. Und so meldet sich nun die Bürgerinitiative (BI) Garbenteich zu Wort: In ihrer Pressemitteilung vom Freitag werfen die BI-Mitglieder der CDU/FW-Koalition vor, die Planungen noch vor der Kommunalwahl „durchboxen“ zu wollen. Eine Entscheidung dieser Größenordnung – die BI spricht von 26 Hektar, während der scheidende Bürgermeister Udo Schöffmann (CDU) vor Kurzem gegenüber dem Anzeiger „circa 22 Hektar“ angab – dürfe jedoch „nicht unter Zeitdruck“ getroffen werden, heißt es. Auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Alexander hatte im HFA kritisch hinterfragt, „warum das jetzt übers Knie gebrochen wird“, nachdem man zuvor „zwei bis drei Jahre für das unsägliche ‚Outlet‘ verschwendet hat“.Einwände nicht beachtetDie BI wünscht sich generell eine stärkere Einbindung der Bevölkerung, denn eine Bürgerinformationsveranstaltung habe es zuletzt beim gescheiterten „Outlet“ gegeben. Stattdessen werde „der allgemeine Eindruck vermittelt, die Verhältnisse seien schon unumkehrbar“, was aus BI-Sicht eben nicht der Fall ist. Ganz im Gegenteil seien bei den Offenlegungen der Planungen eingebrachte Einwände von ihrer Seite, etwa zu Bodenschutz oder Landwirtschaft, „nicht beachtet worden“.

Die offenbar größte Sorge von Gegnern der aktuellen Pläne gilt dem Industrie-Anteil des Areals, der auf der Autobahn-zugewandten Seite liegt. Was wird dort wohl entstehen? Der Investor hat sich dazu bislang nicht öffentlich geäußert. Und so blühen die Spekulationen, wobei immer wieder die Befürchtung vor einem „chemischen Unternehmen“ zu hören ist. Oder einem „stark wasserverbrauchenden Betrieb, der das Kanalsystem von Garbenteich überlastet“, wie Eckart Hafemann (Bündnis 90/Grüne) jetzt im HFA vorbrachte. Der Kommunalpolitiker konfrontierte dort die Projektentwickler und das Planungsbüro mit einem ganzen Katalog an Fragen, und das fast zwei Stunden lang. Bei den Antworten war von Beitlich unter anderem zu erfahren, dass die für das Gewerbegebiet gegründete Besitzgesellschaft bis zum 30. Juni dieses Jahres gültige Optionsverträge auf die Grundstücke des Areals besitzt. Dabei handele es sich um dieselben Verträge wie schon beim „Outlet“, die man nun übernommen habe. Udo Schöffmann hatte zu Beginn der Sitzung nochmals die Wichtigkeit von „Garbenteich-Ost“ betont, sowohl was neue Arbeitsplätze als auch zusätzliche Gewerbeeinnahmen angeht: „Damit haben wir alles, was unsere Stadt für ihre zukünftige Entwicklung benötigt.“Ein weiterer herausragender Kritikpunkt der Gegner gilt der Verkehrssituation. So prophezeiten im HFA sowohl Eckart Hafemann als auch Peter Alexander, dass dem ohnehin schon stark verkehrsbelasteten Dorf-Güll durch das Gewerbegebiet eine weitere Zunahme des Durchgangsverkehrs drohe – im Gegensatz zu den Planern, die davon ausgehen, dass der Gewerbeverkehr von und zur Autobahn vorwiegend über die Anschlussstelle Steinbach verläuft. Außerdem bezweifelt die BI, dass durch die geplante Bebauung die im Umweltbericht versprochene deutliche Abschirmung der Geräuschemissionen durch die Autobahn tatsächlich erreichbar ist. „Nur durchgehende Lärmschutzwände direkt an der Quelle“ hätten für das nahe Garbenteicher Wohngebiet eine solch abschirmende Wirkung, ist man überzeugt.

Forderung an Investor
Die Bürgerinitiative appelliert zum einen an das Stadtparlament, am kommenden Donnerstag „nicht abschließend über die Industrieansiedlung zu befinden“, da vorher noch Dinge zu klären seien. Zum anderen fordert man den Investor auf, „seine Pläne auf den Tisch zu legen“. Darüber hinaus setzen die BI-Mitglieder ihre Hoffnung in den neuen Bürgermeister: Andreas Ruck (parteilos) solle „sein Wahlversprechen zu mehr Kommunikation und Transparenz jetzt umsetzen“ und „mit den Bürgern“ ein Konzept für „Garbenteich-Ost“ erarbeiten, fordert die BI. Ruck befürwortet zwar grundsätzlich das Gewerbegebiet, im kürzlichen Gespräch mit dem Anzeiger hat der neue Rathauschef jedoch bereits angekündigt, bei den Planungen der Revikon „mitreden“ zu wollen.

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